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Interview mit Dr. Axel Schroeder: Sektorübergreifende Versorgung im Fokus

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht grundlegende Änderungen an der Schnittstelle ambulant/stationär vor. Erste Eckpunkte einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe „sektorenübergreifende Versorgung“ unter Einbeziehung der Regierungsfraktionen machen deutlich, dass der Versorgungsauftrag für Krankenhäuser ausgeweitet werden und die Versorgung patientenzentrierter erfolgen soll.

Herr Dr. Schroeder, welche Änderungen sind das?

Die historisch gewachsene starre institutionelle Trennung von ambulanter und stationärer Leistungserbringung soll im Sinne der Patienten überwunden werden. Heute können wesentlich mehr Leistungen ambulant erbracht werden. Das ist zum Vorteil des Patienten, weil er nicht stationär aufgenommen werden muss. Jedoch folgt der Leistungserbringung im ambulanten Versorgungsbereich nicht die Vergütung, so dass weiterhin ein Anreiz besteht, Patienten eher stationär zu versorgen.

Die wesentlichen Punkte des Eckpunktepapiers der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „sektorenübergreifende Versorgung“ sind die institutionelle Öffnung der Kliniken für eine ambulante Versorgung, eine gemeinsame fachärztliche Versorgung und eine bessere Koordination zwischen Hausärzten und Pflegediensten. Ziel ist es, den fachärztlichen Versorgungsbereich einheitlich
sektorenübergreifend zu organisieren. Die Leistungen sollen dort erbracht werden, wo es qualitativ und ökonomisch am sinnvollsten ist. Dafür sollen Leistungen, die für eine ambulante Versorgung geeignet sind, aber immer noch überwiegend stationär erbracht werden, leistungs- und disziplinbezogen beschrieben werden. In dieselbe Richtung zielt auch der Regierungsentwurf des MDK-Reformgesetzes, der den Katalog durchführbarer ambulanter Eingriffe erweitern und prüfen möchte. Die Vergütung soll für ambulante und stationäre Leistungserbringer einheitlich erfolgen.

Wie bewerten Sie diese Maßnahmen?

Der SpiFa begrüßt die vorgestellten Maßnahmen zum Abbau der historischen gewachsenen starren Sektorengrenzen. Die Sicherstellung der ärztlich-medizinischen Versorgung über die Schnittstelle ambulant/stationär hinweg ist eine entscheidende Herausforderung für die Gesundheitspolitik und die Fachärzte. Der SpiFa als Organisation, der insbesondere die Interessen der an dieser Schnittstelle tätigen Fachärzte in Klinik und Praxis vertritt, hat an der Aufrechterhaltung der Sektorengrenze zwischen ambulanter und stationärer Versorgung grundsätzlich kein Interesse. Da dies für die fachärztliche Versorgung von besonderer Bedeutung ist, begrüßt der SpiFa den vom Gesetzgeber verfolgten Ansatz, gleiche Leistungen im ambulanten und stationären Versorgungsbereich einheitlich zu vergüten. Auch vor dem Hintergrund der Bertelsmann-Studie, die die Hälfte aller Krankenhäuser für überflüssig hält, werden ambulante Versorgungseinrichtungen, die explizit an der Schnittstelle ambulant/stationär Patienten versorgen werden, immer mehr an Bedeutung gewinnen.1

Welche Punkte fehlen Ihrer Meinung nach in dem Konzept der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sektorenübergreifende Versorgung?

Der Erlaubnisvorbehalt im ambulanten Bereich muss dem Verbotsvorbehalt aus der Welt der stationären Versorgung endlich weichen. Denn nach dem Erlaubnisvorbehalt dürfen Leistungen und neue Methoden nur dann erbracht werden, wenn sie vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) positiv bewertet und in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen wurden. Der Verbotsvorbehalt erlaubt Klinikärzten hingegen, neue Methoden solange zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu erbringen, wie sie nicht explizit vom G-BA ausgeschlossen wurden. Das birgt gerade an den Schnittstellen ambulant/stationär Konfliktpotenzial und einen Anreiz innovative Versorgung in der stationären Versorgung – also im Krankenhaus – exklusiv anzubieten. Dies führt dann auch unausweichlich zu unnötigen Krankenhauseinweisungen von Patienten.

Punkte sehen Sie besonders kritisch?

Nur dann, wenn eine am Patientenwohl ausgerichtete einheitliche Leistungsvergütung sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung für ärztliche Leistungen erfolgt, wird eine Überwindung der Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, ohne den ambulanten Leistungsbereich nachhaltig zu beschädigen, möglich sein.

Ausgangslange für eine gleichartige Vergütung müssen hierbei Fallpauschalen sein. Mit der angedachten institutionellen Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung wird der heutige Sicherstellungsauftrag sowie die Bedarfsplanung in der ambulanten Versorgung umfänglich in Frage gestellt. Eine schlicht einseitige Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung ist nicht zielführend und vom teuersten Ende des Versorgungsgeschehens gedacht. Vielmehr muss – wie im Sinne der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) – eine gleichberechtigte Teilnahme von Vertragsärzten und Leistungserbringern der stationären Versorgung ermöglicht werden. Getreu dem Motto, wer qualitativ versorgen kann, der soll auch – egal ob als Vertragsarzt oder als Krankenhaus.

In der Vergangenheit konnten die Akteure in der gemeinsamen Selbstverwaltung es nicht erreichen, dass eine ausschließlich am Wohl des Patienten orientierte Entscheidung, ob eine stationäre Versorgung notwendig ist oder eine ambulante Versorgung ebenso bedarfsangemessen ist, getroffen wird. Die Beharrungskräfte sektorspezifisch geprägter Sichtweisen sind dabei nicht zielführend, da ausschließlich eigene Interessen mit der Aufrechterhaltung der Sektorengrenzen verfolgt werden.

Welchen Ansatz verfolgt der SpiFa?

Wir geben ganz klar dem Prinzip ambulant vor stationär den Vortritt, da wir davon überzeugt sind, dass dies für den Patienten die deutlich bessere Versorgung ist.

Wie soll das Prinzip umgesetzt werden?

Das Eckpunktepapier der Bunde-Länder-Arbeitsgruppe sektorenübergreifende Versorgung ist Grundlage der Diskussion im SpiFa und gab Anlass dazu, einen Vorschlag für eine zukünftige Struktur und Vergütung intersektoraler Leistungen zu unterbreiten. Mit Hilfe der §§ 115 bis 122 im SGB V sollte die Grenze ambulant/stationär in der Vergangenheit durchlässiger gemacht werden. Aus verschiedenen Gründen sind all diese Vorgaben mehr oder weniger gescheitert. Mit dem Vorschlag des SpiFa wird der Versuch unternommen, diese Regelungen unter einen § 115 neu „Intersektorale Leistungen“ zusammenzufassen. Dabei schlagen wir vor, alle Krankheiten, die im G-DRG-System mit einer mittleren Verweildauer von weniger als vier Krankenhaustagen aufgeführt sind, auch alternativ intersektoral erbracht werden können. Die Leistung wird auf eine Behandlungsdauer von einem Kalendermonat oder alternativ auf einen Monat entsprechend der DRG-Regelung begrenzt. Das Prinzip ambulant vor stationär wird konsequent dadurch umgesetzt, dass die Erkrankungen zunächst grundsätzlich ambulant behandelt werden müssen. Eine stationäre Behandlung erfordert eine medizinische Begründung. Überprüft werden soll der Vorgang vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Entsprechend der seitherigen stationären Behandlung gilt für die intersektorale Leistungserbringung der Verbotsvorbehalt für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Damit wird gesichert, dass die Verschiebung von stationär nach ambulant wegen fehlender Abrechnungsziffern im EBM nicht behindert wird. Die Vergütung erfolgt auf Grundlage des DRGSystems an die Leistungserbringer direkt, die die weitere Verteilung des Honorars untereinander regeln.

Herr Dr. Schroeder, vielen Dank für das Gespräch.


1 Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Zukunftsfähige Krankenhausversorgung: Simulation und Analyse einer Neustrukturierung der Krankenhausversorgung am Beispiel einer Versorgungsregion in Nordrhein-Westfalen, 2019. (Spitzenverband Fachärzte Deutschland e.V., SpiFa)

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